Donnerstag, 24. April 2014

Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt (1971) [Eurovideo]

Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt (1971) [Eurovideo]

Der junge Daniel zieht aus der Provinz nach Berlin, wo er Clemens kennenlernt. Für Daniel scheint es die große Liebe zu sein und beide ziehen zusammen und versuchen als bürgerliches Paar zu leben, was allerdings nach wenigen Monaten in die Brüche geht.
Daraufhin zieht Daniel zu einem älteren, reicheren Mann, der ihn aber nur als Objekt betrachtet und benutzt.
So folgt für Daniel ein zielloses Irren durch die verschiedenen homosexuellen Subkulturen, die ihm aber alle auf Dauer keine Befriedigung bringen.
Schließlich lernt er die Mitglieder einer schwulen Wohngemeinschaft kennen, mit denen er diskutieren und sich politisch organisieren kann.

Rosa von Praunheims Pamphlet über die Lebenssituation Homosexueller und seine Aufforderung an diese „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ zu gehen, löste bereits bei der Uraufführung im Rahmen der Berlinale 1971 heftige Diskussionen aus.
Und auch die erste Fernsehausstrahlung 1972 sorgte nicht weniger für Zündstoff. Statt den Film parallel zum WDR auszustrahlen, zog die ARD sich kurzfristig und unter fadenscheinigen Gründen aus der Ausstrahlung zurück.
Erst 1973 sollte die ARD einen zweiten Anlauf wagen, woraufhin sich der Bayerische Rundfunk aus der Übertragung ausklinkte.
Begleitet wurden die Ausstrahlungen von anschließenden Diskussionrunden, in denen das Gesehene teils heftig debattiert wurde.

Der Film stellt auch eine Reaktion auf die begonnene Lockerung des §175 StGB in 1969, wonach homosexueller Kontakt zwischen Erwachsenen nicht mehr strafbar sein sollte.
Von Praunheim nimmt in seinem Film jedoch keine schützende und solidarisierende Haltung den Homosexuellen gegenüber ein.
Vielmehr versucht er der Szene einen Spiegel vorzuhalten und sie aufzurütteln, sie dazu zu bewegen sich politisch zu engagieren und für ihre Rechte einzutreten und nicht demütig die kleinen „Geschenke“ der heterosexuellen Majorität dankend anzunehmen.
Schließlich sollte es noch weitere 25 Jahre dauern bis der besagte Paragraph ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde.

Von Praunheim hat mit seinem Film aber die Verantwortung wieder zurück in die Reihen der Schwulen gebracht. Er provoziert sie und nimmt die verschiedenen Subkulturen innerhalb der Szene auseinander.
Was aber nicht heißen soll, dass der durchschnittliche, Hetero-Spießbürger dabei ausgespart wird. Die bekommen in Teils scharfen und bissigen Kommentaren ebenfalls ihr Fett weg.
Was von Praunheim aber versucht ist eben nicht die Schuld und die Verantwortung auf eben diese Bürger abzuwälzen, vielmehr versucht er den Schwulen klarzumachen, dass sie diejenigen sind, die aktiv werden müssen, wenn sich etwas ändern soll.

Dazu polemisiert von Praunheim sehr und ist in seinen Aussagen sehr von den dogmatisch-linken Studentenbewegungen jener Zeit geprägt. Das ist ein Punkt, der den Film streckenweise sehr anstrengend werden lässt.
Seiner Auffassung nach gibt es nur den einen Weg und alle anderen werden entweder als Spießer verschrien, die zu sehr den bürgerlichen Vorstellungen von Liebe und Ehe hinterherrennen, anstatt der Gesellschaft die sie verachtet ins Gesicht zu spucken. Oder eben als Hedonisten, die nur an der Befriedigung ihrer eigenen Triebe denken und alles andere links liegen lassen.
Sicher ist dieses Vorgehen der Entstehungszeit geschuldet und mit jeder Menge verständlicher Wut im Bauch entstanden, der anklagende und oftmals nervig, besserwisserische Tonfall jedoch hinterlässt einen recht zwiespältigen Eindruck. Jedenfalls aus heutiger Sicht.
Für die Zeit seiner Entstehung ist der Ton aber richtig und wichtig gewesen. Dazu braucht man sich nur ansehen, wie viel plötzlich über das Thema diskutiert wurde und wie viele Schwulengruppen sich auf Anregung dieses Films hin zusammengefunden haben. Und auch heute ist die Botschaft die der Film vermitteln möchte immer noch wichtig, nur die Art wie diese an den Zuschauer herangetragen wird, erscheint mittlerweile ein wenig überholt.

Die DVD aus der Kino Kontrovers Reihe bietet den Film in einer restaurierten Fassung, die in Bild und Ton wirklich gelungen ist.
Und auch die Extras können sich sehen lassen. Neben einem 11 minütigen Interview mit Rosa von Praunheim und einer Diskusssionsrunde aus New York, gibt es eine über 90 minütige WDR Talkrunde mit den Machern des Films, Experten und Publikumsbeiträgen.
Da mir nur die Presse DVD vorliegt kann ich nichts zum Mediabook sagen, aber wer schon einmal ein Mediabook aus der Kino Kontrovers Reihe in den Händen hatte, weiß, dass diese eigentlich immer sehr liebevoll und äußerst gelungen gestaltet sind. Ich denke dieses wird keine Ausnahme sein.

Ein Film, der an Wichtigkeit nicht verloren hat, auch wenn die Methoden seine Botschaft rüberzubringen, sowie einige Filmtechnische Einfälle etwas altbacken und arg belehrend wirken.
Ich kann jeden verstehen, der mit diesem Film nichts anfangen kann, bei einer Dauer von knapp über 60 Minuten kann man jedoch durchaus mal einen Blick riskieren.